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SPD-Abteilung 12 | Helmholtzplatz

Elise Panzeram

Pappelallee 76 I, 1866-unb.

So wenig man auch von Elise Panzéram weiß, kann man doch sagen: An wenigen Leben spiegeln sich Kämpfe und Erfolge der Frauenbewegung so konkret wie in ihrem Leben. „E.P. war Mitglied im Berliner Frauenbildungsverein von 1899 und seit 1905 eine der Vertrauenspersonen Berlins“ ist die kurze biographische Notiz, die man Buch „Emanzipation zwischen Sozialismus und Feminismus“ findet. Auch sonst tritt sie hinter bekanntere Genossinnen zurück, so dass man zur Erforschung ihres Lebens auf den Vorwärts, die Parteizeitung der SPD, angewiesen ist und doch bleiben Lücken.

Geboren wurde Elise Panzéram am 09.09.1866 und, wie der Vorwärts anlässlich ihres 65. Geburtstages schreibt, bereits in der Zeit des Sozialistengesetzes (1878-1890) in der SPD und der Gewerkschaft aktiv. Man kann noch rekonstruieren, dass sie 1906 ihren Mann Paul Panzeram heiratete. Politisch in Erscheinung tritt sie in der Nachschau im Zusammenhang mit dem Konfektionsarbeiterstreik von 1896, bei dem es sich zum größeren Teil um einen KonfektionsarbeiterINNENstreik handelt. Kern war weniger die Konfektionsarbeit, sondern das System der Heimarbeit (Arbeit in der eigenen Wohnung)– in etwa das, was heute der Scheinselbstständigkeit entspricht. Das Elend dieser „Heimarbeit“ im Kaiserreich war unbeschreiblich und es war ein Schicksal, das vor allem Frauen traf. Gerade in der Textilbranche, im Prenzlauer Berg damals eine der größten Wirtschaftszweige, waren die Arbeitsbedingungen unvorstellbar. Schlimmer als die Fabrikarbeit und deutlich schlechter bezahlt mit 5-15 Pfennig pro Stunde. Die Kolleginnen in der Fabrik verdienten 25-30 Pfennig.

In ganzer Grausamkeit zeigt sich die Lage der Heimarbeiterinnen in Oswalds Buch über „Berlin und die Berlinerinnen, wenn er von einem Gespräch mit einer der Frauen führt: „Ob ich rauskomme? Nein, ich arbeite doch abends bis um zehn, und wenn’s fertig werden muß, dann sitz ich `ne Stunde länger, Und dann wird mir im Rücken heiß. … Und von elf bis zwölf, wenn ich da noch sitze- dann spucke ich Blut“ „Wie ist’s mit dem Lüften?“ „Ja- das vertrage ich doch nicht. So wie andere Luft reinkommt, muss ich husten und spucken“.

Dieses Elend wurde durch den Konfektionsarbeiterstreik vom Winter 1896 mit der Schärfe eines Scheinwerfers beleuchtet, wie Clara Zetkin später schrieb. Der abgrundtiefe, uferlose Jammer erweckte die Entrüstung aller Bevölkerungskreise, welche die so hergestellte Kleidung bis dahin recht gedankenlos getragen hatten. In Berlin beteiligten sich 23.805 Menschen, davon 30% Männer und 70% Frauen. Für die Frauen war es die erste große Streikaktion, an der sie sich erstmals in Massen beteiligten. Welche Rolle Elise Panzeram in diesem Streik spielte, konnte nicht mehr festgestellt werden. Sie war aber aktiv genug daran beteiligt, um „gemaßregelt“ zu werden.

Armenkommission
Trotz doppelter Unterdrückung -als Sozialdemokratin und als Frau – war sie in der Folge, eine der ersten Frauen, die eine ehrenamtliche Funktion übernahm – durch die Wahl in die Armenkommission. Diese waren mit Bürgern besetzt und stellten eine Form dezentralisierter Verwaltung mithilfe von Ehrenamtlichen, denen die Aufgabe oblag, über Bedürftigkeit zu entscheiden. Selbstverständlich war die Anwesenheit von „Frauenpersonen“ in diesen Kommissionen nicht. Um 1900 schlug Zehn-Gebote-Hoffmann die erste Frau für einer dieser Kommissionen vor (es kann sich um Elise Panzeram gehandelt haben, das ist nicht mehr nachvollziehbar). Die Reaktion der männlichen Kommissionsmitglieder war eindeutig: Fast alle Mitglieder legten ihre Arbeit nieder. „Es kämen Dinge zur Sprache und wären Recherchen vorzunehmen, die man einer Frau nicht zumuten könne.“ protestierten sie. Die Beschäftigung mit Armut war (bürgerlichen) Frauen also nicht zuzumuten; und das in einer Zeit, in der Armut und Elend eine alltägliche Lebenserfahrung für die Frauen der Arbeiterklasse war.
 
Erste politische Arbeit: Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse
„Frauenpersonen“ war politische Tätigkeit verboten, sowohl die Mitgliedschaft in Parteien auch die Anwesenheit bei politischen Versammlungen war untersagt. Aber aus der sozialdemokratischen Bewegung kommend, wusste man da Abhilfe. Bereits 1880 wurde der erste Arbeiterinnenverein gegründet, der sich formal unpolitisch mit Bildung und gegenseitiger Hilfe befasste. Dem preußischen Staat war das zu gefährlich, er verbot den Verein im Folgejahr. Im März 1899 wurde schließlich der Verein für Frauen und Mädchen der Arbeiterklasse in Berlin gegründet- strikt nach preußischen Vereinsgesetz kein politischer Verein, sondern der Förderung des Wissens und der Geselligkeit als Ziel verschrieben. Der Monatsbeitrag betrug 20 Pfennig. In das provisorische Komitee zur Gründung wurden drei Frauen und zwei Fräuleins berufen, unter den erstgenannten war Elise Panzeram. Mit Gründung des Vereins übernahm sie den Vorsitz, bis sie ihn im Oktober 1904 niederlegte. Ihre folgte das Fräulein Gertrud Hanna, Elise verblieb im Vorstand. Die Inhalte der Vereinsabende waren sehr breitgefächert: vom märkischen Sand (Geologie) über Kriminalität und Frauen bis zu Schulhygiene. Vorgetragen meist von männlichen Referenten.
Wie sehr die politische Arbeit in dem Verein eingeschränkt war, zeigt die Erinnerung der bürgerlichen Frauenrechtlerin Adele Schreiber über ihre Vorträge dort. „Den gesetzlichen Vorschriften jener Zeit entsprechend waren bei den Abenden stets zwei behelmte Schutzleute anwesend und selbst Märchen habe ich unter polizeilicher Bedeckung vorgelesen!“ (zitiert nach  ). Ein Spiel war das Ganze nicht. Auf einer Mitgliederversammlung in Lichtenberg seien „politische Angelegenheiten“ erörtert worden, berichteten die Polizisten ihren Vorgesetzten am 17. Juni 1907, die daraufhin den Lichtenberger Verein auflösten. Lakonisch merkte der Vorwärts dazu nur an: „Auch in der nächsten Nähe der Reichshauptstadt, in dem Vororte Lichtenberg, hat man den Staat gerettet durch Auflösung eines Frauenvereins“ (Vorwärts vom 03.10.1907). Verbote dieser Art gab es häufig, nur selten war die Begründung aber so schön offenbarend wie in Nürnberg: „Will der Verein seinen Zweck [= Gleichberechtigung der Frau] wirklich erfüllen, so kann dies unmöglich geschehen, ohne das öffentliche Interesse in Mitleidenschaft zu ziehen.“
 
Mit einem Trick: Mitglied der Partei
Der Partei beitreten durften Frauen bereits seit 1890, allerdings nur in deutschen Ländern mit liberalen Vereins- und Koalitionsrecht. Für Preußen und damit Berlin traf das nicht zu. Hier war die Politik erst 1907 nicht mehr exklusives Männerrecht. In Berlin behalf man sich mit einem Kniff. Während des Sozialistengesetzes hatten Vertrauensmänner die illegale Parteistruktur ergänzt. In Wahlkampfzeiten aktivierten sie Mitglieder und Sympathisanten, ohne dass dafür eine formale Struktur bestehen musste. Die Polizei war dadurch in den Möglichkeiten der Überwachung stark eingeschränkt und es gab keinen zu verbietenden Verein. Das System wurde als Sicherheit auch nach dem Fall des Sozialistengesetzes neben der nun legalen Vereinsstruktur beibehalten. Da lag es nahe, es auch auf die Frauen auszudehnen, die immer noch keine Vereine gründen durften. Dementsprechend wurde die Position des Vertrauensmannes von der Partei 1892 in Vertrauensperson umbenannt, eine frühe Form gendergerechter Sprache. Elisé Panzerarm übte das Amt spätestens seit 1903 aus bis zur Abschaffung 1908. Ab diesem Zeitpunkt war es überflüssig geworden. Frauen war auch offiziell politische Arbeit erlaubt.
 
Und sie wurde 1902 zum Münchener Parteitag delegiert. In der SPD erfolgte das seit 1892, also zu einer Zeit, als andere Parteien Frauen noch als unpolitische Wesen für den Haushalt sahen. In der Präsenz-Liste steht sie dann mit „Panzeram, Frau“ zwischen Kitsch, Richard und Petzold, Hermann. Vornamen waren noch den Männern vorbehalten.
Mit der Reform des Parteistatuts der SPD von 1905 wurde außerdem bereits zuvor eine Hintertür für die (weiterhin verbotene) Mitgliedschaft in der Partei geöffnet. In § 1 des Organisationsstatus heißt es: „Zur Partei gehörig wird jede Person betrachtet, die sich zu den Grundsätzen der Partei bekennt und diese dauernd durch Geldmittel unterstützt“ Der letzte Teil des Satzes war bewusst offengehalten, weil dadurch Vertrauenspersonen wie Elise Panzeram freiwillige Beiträge entgegennehmen und durch besondere Marken quittieren konnten (nach § 10 Abs. 2). Was alles sehr bürokratisch klingt, machte Frauen zu vollwertigen Mitgliedern, wenn sie regelmäßig freiwillig Beiträge entrichteten. „Durch die Bestimmungen des § 8 des preußischen Vereinsgesetzes ist zwar dem weiblichen Teil der Bevölkerung, den „Frauenspersonen“, wie es so schön im Gesetz ausgedrückt ist, untersagt, politischen Vereinen als Mitglieder anzugehören. Dieses bestehende, gesetzliche Unrecht kann jedoch die Proletarierin nicht hindern, eine politische Überzeugung zu haben, eine Sozialistin zu sein.“ erklärte der Vorwärts stolz in regelmäßig erscheinenden Anzeigen. Angegeben waren die Kontakte zur Entrichtung der Beiträge und immer fand man dort Elise Panzeram, Pappelallee 76 (später: 128).
 
Parteiarbeit
Wie sehr die Partei das ganze Leben umfasste, wird deutlich, je tiefer man nach Elise Panzeram sucht. Die Organisation von Leseabenden für Frauen, die Gründung von Frauenwahlvereinen zur Reichstags- und Landtagswahl, der Vertrieb der Zeitung die Gleichheit (ab 1902) lag alles in Hand der Genossinnen wie Elise Panzeram, die keinen Eingang in die großen Bücher über Gleichberechtigung und Frauenbewegung gefunden haben. Letzteres wird im Vorwärts wenigstens gewürdigt: „Mit Beginn dieses Jahres haben die Genossinnen Berlins im Einvernehmen mit den Genossen den Vertrieb der „Gleichheit“ [Zeitschrift für die Interessen der Arbeiterin] in eigene Hand genommen. Die Abonnentenzahl ist infolge der eifrigen Tätigkeit vieler Genossinnen, die die „Gleichheit“ verbreiten und für sie Propaganda machen, von 115 zu Beginn des Jahres auf 700 gestiegen.“ Die Erfolge der Sozialdemokratie bauten auf Millionen von Stunden ehrenamtlicher Arbeit auf von Männern und eben auch Frauen wie Elise Panzeram.

In der Zeit der Weimarer Republik findet man weniger Einträge zu Elise Panzeram im Vorwärts. Der vorletzte Beitrag ist vom 03.05.1929 und berichtet von der würdigen Veranstaltung zum 1. Mai im festlich geschmückten Saal des Gemeinschaftshauses in Falkenberg. „Dort versammelten sich die Genossen, um nach Gesangsvorträgen der Arbeitersänger die Festrede unserer alten Genossin Panzeram zu hören.“ Ihre Rede war gleichsam ein eher nüchterner Rückblick auf ihr Leben: „Sie schilderte, wie schwer es früher für die Frauen war, sich gewerkschaftlich oder gar politisch zu betätigen. Umso notwendiger ist es heute, darauf hinzuweisen, daß wir gegen früher immerhin eine ganze Anzahl Erfolge für uns buchen können.“