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SPD-Abteilung 12 | Helmholtzplatz

Willy Bartsch

1905-1988, Dunckerstr. 68


Das Kreisbüro der SPD im Prenzlauer Berg 1946

Viele überrascht es: Die SPD gab es in Ost-Berlin bis zum Mauerbau 1961. Was eine Folge der Vier-Mächte-Statuts war, brachte Lebensläufe hervor wie den von Willy Bartsch, am 24. März 1905 geboren. Obwohl in der Dunckerstraße und damit dem damaligen Ost-Berlin wohnend, war er von 1950 bis 1963 Mitglied des (West-)Berliner Abgeordnetenhauses. Mit dem Mauerbau musste er seinen Wohnsitz im Osten aufgeben. Er vertrat das Land Berlin von 1963 bis 1972 dem Bundestag als (beratendes) Mitglied an.

So außergewöhnlich die politischen Mandate waren, hatte sein Leben 1905 als Arbeiterkind für die damalige Zeit verhältnismäßig normal begonnen. Nach dem Besuch der Volksschule machte er eine Lehre als Maler. In dieser Zeit trat er auch der Gewerkschaft bei, ab 1923 war er Mitglied der SPD. Die Weimarer Republik bedeutete für ihn die Möglichkeit des Aufstiegs. Mit einem Stipendium seiner Gewerkschaft konnte er 1929/30 an der Akademie der Arbeit studieren und war ab 1931 hauptamtlich im Malerverband beschäftigt.

Er wurde nach der Machtergreifung der Nazis 1933 aus politischen Gründen entlas-sen und kurzzeitig verhaftet. Nach seiner Freilassung arbeitete er ab 1934 wieder als Maler, nachdem er durch die Zerschlagung der Gewerkschaften seine Stelle verloren hatte. Zum Militärdienst wurde 1940 eingezogen, gegen Ende des Krieges geriet er in französische Gefangenschaft. Erst 1947 wurde er aus dieser entlassen und arbeitete von 1948 bis 1961 als Kreissekretär seiner Partei im Prenzlauer Berg. Von 1950 bis 1963 war er Mitglied des (West-)Berliner Abgeordnetenhauses.

Dabei kam ihm die besondere Situation in Berlin zu Hilfe. Zwar war die SPD aus Sicht der sowjetischen Militäradministration in Ost-Berlin aufgelöst durch die Zwangsvereinigung mit der KPD. Auf der anderen Seite der Sektorengrenze wurde der SED aber die Anerkennung als Partei verweigert. Das Ergebnis war nach zähen Verhandlungen ein Kompromiss: die SPD wurde im Osten zugelassen, die SED im Westen. Für die Sowjetische Militäradministration und die SED war das aber ein schlechter Deal. Die SPD konnte die Wahlen in Berlin 1946 haushoch mit 48,6%, (SED: 19,8%) gewinnen. Im Prenzlauer Berg lauteten die Zahlen trotz Behinderun-gen: 45,3% für die SPD, 30,5% für die SED. Im Westen wurde die Einheitspartei da-gegen zusehendes marginalisiert und fristete als SEW (Sozialistische Einheitspartei West-Berlins) ein Schattendasein im Promille-Bereich (1989: 0,6%).

Die SPD konnte so zwar ihre politischen Strukturen im Osten der Stadt aufrechterhalten, aber die Teilnahme an Wahlen war ihr untersagt. Als Ausgleich dafür hat die SPD in West-Berlin einzelne Kandidatinnen und Kandidaten aus den Ost-Bezirken in Wahlkreisen aufgestellt und so abgesichert, um eine politische Vertretung Ost-Berlins sicherzustellen. Willy Bartsch war einer dieser Abgeordneten. Sein Abstimmungsverhalten im Abgeordnetenhaus wurde deswegen von der SED und dem Neuen Deutschland genau unter die Lupe genommen. So wurde ab 1960 der sogenannte Lücke-Plan für (West-)Berlin beschlossen, der die Wohnungszwangswirtschaft aus Nachkriegszeiten beendete und schrittweise die Mietpreisbindung für Altbauwohnungen abschaffte. Teil des Planes war die soziale Flankierung durch Unterstützung für Bedürftige. Für die SED war das Teufelswerk. Ein Artikel über die  Zustimmung von Bartsch zum Gesetz endet mit: „Die sozialdemokratischen Führer, die mit Hitler gingen, marschierten in die Katastrophe - die mit der Arbeiterklasse und dem Volke gingen, kämpften gegen Faschismus und Krieg. Es ist eine geschichtlich bewiesene Tatsache, daß der, der sich den Militaristen verkauft oder ihnen Handlangerdienste leistet, dem Untergang geweiht ist.“ Große Kanonen auf kleine Spatzen. Das Neue Deutschland veröffentlichte in dem Artikel außerdem seine Wohnadresse (Dunckerstraße 68) und seine Miethöhe (35 DM) im „demokratischen Sektor“, also in Ost-Berlin.

Mit dem Mauerbau endete die politische Vertretung Ost-Berlins im Abgeordnetenhaus. Willy Bartsch hat nach dem Mauerbau verschiedenen Genossinnen und Genossen zur Flucht verholfen. Dazu hat er Ausweise geschmuggelt, welche die Flucht ermöglicht haben. Er selbst verlegte seinen Wohnort in den Westteil und nahm sein Abgeordnetenhaus-Mandat weiter wahr. Beruflich baute er daneben seine Existenz als Verwaltungsangestellter im Wedding auf. Als der SPD-Bundestagsabgeordnete Günter Klein 1963 verstarb, rückte er nach und blieb bis 1972 Mitglied des Bundestages. Als Berliner Abgeordneter wurde er vom Abgeordnetenhaus entsandt, nicht durch die Berlinerinnen und Berliner gewählt – das war eine Folge des besonderen Vier-Mächte-Status von Berlin. Im Bundestag waren die Berliner Abgeordneten nur bei Fragen der Geschäftsordnung stimmberechtigt und konnten in Ausschüssen mitarbeiten, durften sich bei gesetzgeberischen Fragen aber nicht an der Abstimmung beteiligen.

In der Diskussion über die Ostverträge kritisierte er als geborener Schlesier und Vorstandsmitglied der Sudetendeutschen die Regierung Brandt und entschied sich, seine parteiinternen Mandate niederzulegen. Für die Wahl 1972 trat er nicht mehr an.

Im gleichen Jahr erhielt er das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland – ein weiter Weg für ein Arbeiterkind, das in einem Kaiserreich geboren war.

Bartsch war verheiratet mit Erna, geborene Langer, und hatte ein Kind. Er verstarb am 9. Juni 1988 in Berlin.